Der Blick
Letztens habe ich in der U-Bahn eine erschreckende Beobachtung gemacht. Ein Mann in den 40ern, leicht ungepflegt, übergewichtig und in alten Klamotten gekleidet, sprach eine fremde Frau an und sagte zu ihr: „Ich beobachte dich ganz genau, du Miststück. Wehe du klaust was aus meiner Tasche!“
Die Frau kam wahrscheinlich gerade aus dem Büro, denn sie trug einen schicken Businessanzug und war dezent geschminkt.
Jetzt fragt man sich wahrscheinlich, warum der Mann so etwas gesagt hatte. Das ergibt ja gar keinen Sinn! Ich muss mir das ausgedacht haben…aber nein.

Die Frau hatte eine schwarze Hautfarbe.

Das ergibt natürlich immer noch keinen Sinn, aber man kann sich nun wohl eher vorstellen, warum der Mann das gesagt hatte. Ich möchte mich gar nicht erst über solche Leute auslassen, denn dann ist man kein Stück besser. Mich erschrak nur diese völlige Aberkennung der Realität, der tiefe Glaube etwas „Besseres“ zu sein, nur weil man die „richtige“ Hautfarbe trägt.
Erschrocken war ich auch über die Antwort der Frau. Sie warf ihm nur einen Blick zu, völlig ohne Worte und Gestik. Aber dieser Blick hatte es in sich! Voller Hass und Abscheu. Ein Blick dem man nicht gewachsen sein konnte, der wirksamer war als ein Schlag in die Fresse. Der haute mich aus den Socken. Diesen Blick, den hatte sie nicht zum ersten Mal geworfen, denn darin konnte man die Verzweiflung und die Verbitterung des alltäglichen Rassismus sehen. Sie hatte ihn trainiert, unfreiwillig.
Das arme Würstchen versank tief in den Sitz und fühlte sich ganz elendig. Rassismus hinterlässt Opfer auf beiden Seiten, es ist der Hass, der sich tief ins Herz hinein frisst und dort böse Narben hinterlässt. Der Mann, der sich wie in einem Alkoholrausch kurz besser fühlt und dann hinterher nur noch mehr Hass und Wut in sich trägt, wie einen üblen Kater, der ihn immer weiter zerstört. Und die Frau, die einfach nur ein normales Leben in diesem Land führen möchte und an diesen Menschen verzweifelt.

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